Hannes Fladerer hält den Begriff der Skulptur hoch. Nicht in der Praxis der Theorie, sondern im Tun des Begreifens. Was zu formen ist, was abzuschlagen ist, hat jahrtausendlang Generationen beflügelt und ist von der Praxis des Hämmerns, Abschlagens, Bohrens, Schleifens mitunter in den letzten Jahren in alle Bereiche des Staubens, Riechens, Essens diffundiert.
Hannes Fladerer ist nach wie vor Bildhauer im klassischen Sinne, was so viel heißt wie befreundet mit Stein und Bronze zu sein. Aber der Geruch der Erde, der noch ist, wenn die Wärme es zulässt, und der durch chemische Prozesse entsteht, solange es Kohlenstoffverbindungen gibt, bleibt im Anblick der in Bronze gegossenen Scholle erhalten. Freilich nur so lang, bis die Bedingung der Möglichkeit seines Werdens auf einer einmal gemachten Erfahrung beruht. Insofern kann man klassische Bildhauerei dieser Art auch als Diskussionspartnerin für Medienkritik in Anspruch nehmen: Medienkunst in Bronze sozusagen. Das Stück Erde, das Hannes Fladerer mit einem Geviert aus Gips begrenzt hat, erhält den Fokus einer konzentrierten Aufmerksamkeit — darin unterscheidet es sich nicht von jeder anderen künstlerischen Annahme. Ãœber den Sensus des Sehens hinaus, der derzeit unter Totalüberforderung leidet, sodass dieser von uns keinesfalls für einen Wahrheitsbeweis taugt, bietet Hannes Fladerer noch die Erfahrung des Begreifens durch die ertastbaren Höhen und Gräben der Schluchten — die freilich härter und spitzer sind als die Schmiere der Erde. Doch selbst, wenn sich der Geruch erst einstellt durch die Abstraktion im Begriff prägender Erfahrung (der Kindheit, von Heimat meinetwegen), ist das Begreifen der Materialität eine wohltuende Unterbrechung des Nachdenkens eines Woher und Wohin. Die Gefahr, bei Annahmen dieser Art in den hohlen Pathos des Missbrauchs längst gezogener und vor allem schmählich missratener und gefährlicher Furchen zu geraten, ist natürlich groß. Wir haben uns deshalb damit abgefunden, das in Gefahr falscher Inbesitznahme zu Geratende nicht mehr zu nennen, zu schützen, es abzuschirmen, wie auch immer. (Mittlerweile tun es eben andere durchaus auf fratzige Art.) Wir haben uns deshalb angewöhnt, nicht mehr von Furchen zu reden, sondern von Spuren, von Rückseiten, von Ansichten des Anderen.
All das ist Hannes Fladerer bewusst und dennoch wagt er es, ein Stück gepflügter Erde mit den Mitteln frappierender Täuschung in Bronze einfach zu „reproduzieren“, ein solches Stück Erde vom Boden zu heben und als Skulptur um 90 Grad gehoben aufzustellen, sodass es das Pathos eines Stand-Bildes erhält. Das starke Gegenüber des lebensgroßen Furchenflecks ist zwar dünn, doch schwer, und zumindest an der Schauseite mitunter spitz. Die Möglichkeit, dieses Stand-Bild zu umgehen, gibt uns den einfachen Einblick in das Dahinter skulpturaler Bedingung. Die weichen Hügel der geronnenen Wachsmaske für das Stück Erde, das schließlich eine Verewigung in Bronze erfahren hat, geben uns auch ein Gefühl der Täuschung zwischen Schauseite und dem Blick dahinter, zwischen Ansicht und Nachsicht. Die Differenz, die damit plötzlich in uns entsteht, nimmt der Inbesitznahme seinen Zwang. Wir werden uns der Ferne bewusst, die zwischen diesem Stück Erde und uns besteht, wir sehen den künstlerischen Akt vor uns, der dieses Stück zu einer eigentlich dünnen Oberfläche hat werden lassen.
Die Erfahrung der Differenz wiederum lädt Hannes Fladerer symbolisch auf. — Scholle — entstand nach dem Abformen eines gepflügten Ackerbodens, indem vor dem Bronzeguss in das Wachsmodell die Basenpaare des menschlichen Genoms eingebaut wurden. Sie durchziehen die Furchen als Sprossenelemente und vernähen die amorphe Erscheinung der Erde mit einem künstlich eingebrachten Ordnungssystem.
Das Dahinter der Erde, die Sicht der weichen Hügel, spreizt der Künstler in die Trias Erde — Mond — Sonne auf. Das — Und — von — Scholle — Und — Abglanz — ist ein Teil der Rückseite des Erden-Standbildes, nur irgendwo in den Raum montiert. Das Pendant dieses als kosmisches Teilchen (oder Meteorit) zu interpretierenden „Mondes“ ist ein Stück „Sonne“, in dessen Oberflächen sich durch die Gesetze der Optik die Umgebung verzerrt spiegelt. Dieses glänzende „Zentrum“ hat einen eigenartigen Strahlenkranz: Es sind Abgüsse von aus Kübeln geschlagenen Gipsresten.
— Abglanz — gruppiert fünf solche vernickelte Bronzeelemente um eine Silberscheibe zu einer Sonnenform. Hoch an einer Wand gegenüber der — Scholle — thematisiert — Abglanz — das Zustandekommen einer Form aus den Bedingungen der Arbeit selbst: Anmischen und Festwerden von Gips, Herausschlagen, Dynamik der Finger- und Handabdrucke. Die unkontrollierten Lichtbrechungen auf der Oberfläche, verstärkt durch das Vernickeln, entsprechen der visuellen Erfahrung von Licht- und Sonneneindrücken.
Der Titel dieser dreiteiligen Arbeit ist freilich gegen den Strich eines Urbild-Abbild Verhältnisses zu lesen. Der Abglanz ist nicht der Schatten. Das Abbild ist die Erde. Die Sonne aber ist nicht Urbild, sondern eingespannt in einem feingliedrigen Bezug von Erde und Kosmos, von Reproduktion und Dauer, von Eingriff und Einsicht.
Der Bezug der Präsentation im Stiegenaufgang zum Minoritensaal im Jahre 2005 hat all diese barocken Fragen von Schau- und Rückseite, von kosmischen Metaphern aufleben lassen — aber in moderner und auf der Höhe der künstlerischen Entwicklung der Gegenwart formulierter Brechung. Was Abglanz ist, wird deshalb erneut einem denkerischen Spiel unterzogen, wenn nicht sogar dem Begreifen, doch dem Mühen des Begriffs nahe. Die Apotheose des Franziskus im Fresko des Minoriten-Aufganges ist eine poetische Fußnote in dieser Präsentation: Der Sonnengesang des Franziskus lässt eine alte erkenntnistheoretische Annahme aufleuchten: Gleiches wird durch Gleiches erkannt.
Johannes Rauchenberger, 2005
—Â Programm: Erde — Â 2002 / 2001
—Â Prototyp Genompaar — Â 2002 / 2001